Dienstag, 19. November 2019

Wiener KammerOrchester / Chepovetsky / Julia Hagen / Pilsan / Poschner, 18. November 2019, Konzerthaus


Ein flotter Beginn mit einer typischen Rossini Ouvertüre, dann ein sehr schönes Tripelkonzert. Ausgezeichnete junge Solisten, einer besser als der andere, dazu ein animiert aufspielendes Kammerochester unter Markus Poschner. Nach der Pause ein sehr schöner Schubert.

Leider waren eine zeitlang, vor allem im ersten Satz die Hörner zu laut.
Allgemein war es bläserlastig, da die Streicher nur in kleiner Besetzung (3 Bässe) spielten.

Die Solisten alle mit Österreich-Bezug, der Geiger Yevgeny Chepovetsky kam mit 12 nach Wien, die Cellistin Julia Hagen ist aus Salzburg, der Pianist Aaron Pilsan aus Vorarlberg. Alle Jahrgang 1995

Auszug aus dem Programm:
 

Das von der Partitur Vorausgesetzte war 1825 in Wien noch längst nicht Realität geworden. Auf welche Art, so könnte man fragen, vermag denn überhaupt notierte Musik ideale Bedingungen für ihre Realisation anzudeuten? Nun, Schubert konzipierte, um beim Naheliegendsten zu beginnen, in riesigen Dimensionen (man denke an Schumanns berühmtes Wort von der »himmlischen Länge«). Der erste Satz hat über 800 Takte (zum Vergleich: der erste von Beethovens Neunter »nur« an  die 550), das Finale gar über 1.500. In diesen Takten passiert freilich vergleichsweise wenig. Über weite Partien ist die Musik durch recht bedächtigen Harmoniewechsel gekennzeichnet, z. B. in der Schlussgruppe des ersten Satzes: 10 Takte Es-Dur, 4 as-moll, 4 Es-Dur, 4 as-moll, 4 H-Dur, 4 e-moll usw. Und in diesen 30 Takten erklingen wirklich nur diese vier verschiedenen Harmonien, es handelt sich um Akkordflächen von zuvor unbekannter Ausdehnung. Auch im Finale wird erst nach 14 Takten der 0-Dur-Dreiklang verlassen, aber dieser kolossale Satz gibt ein weiteres auffälliges Konstruktionsprinzip zu erkennen: Die wirklich wahrgenommene Zählzeit (der »Puls«) und der notierte Takt (2/4 in rasendem Allegro vivace) fallen hier zusammen. Da der Puls einen mäßig bewegten Vierertakt markiert, entsprechen 88 notierte 2/4-Takte des Seitensatzes in der Wahrnehmung bloß 22 4/2-Takten in relativ gemächlichem Tempo.
Diese ungewöhnliche Notierung mag auf den ersten Blick nicht sehr bedeutungsvoll erscheinen, doch Schubert erreichte damit zweierlei: Einmal erklingen so die Melodien (und es ist durchaus gerechtfertigt, hier von '>Melodien« und nicht wie sonst bei Sonatensätzen bloß von »Themen« zu sprechen) in breitem, liedmäßigem Cantabile, ohne dass darum zweitens der Eindruck eines drängend voranstürmenden Allegros verloren ginge. Schuberts Musik artikuliert sich hier sozusagen gleichzeitig auf zwei Ebenen: dem gesanglichen Melos der Hauptstimme und der rasenden Beweglichkeit der Begleitstimmen. Der Vergleich mit manchen seiner Lieder mag nahe liegen, doch in der Symphonie gelingt es Schubert, seinen Melo-dien durch diese Technik den überwältigenden Charakter des Grandiosen, des gelassen Majestätischen zu verleihen, ohne sie plump oder schwerfällig erscheinen zu lassen.
Der Eindruck des Grandiosen wird durch die ungewöhnliche »Leere« der Partitur noch verstärkt. Mit der Detailarbeit eines ausgefeilten kontrapunktischen Satzes mit obligaten Nebenstimmen und differenzierter motivischer Verflechtung hat sich Schubert hier nicht abgemüht, nur selten (am deutlichsten im zweiten Satz) erklingen zwei Melodiezüge gleichzeitig.
Diese auffällig schlichte Stilisierung (Verzicht auf kontrapunktische und motivische Arbeit, langsame harmonische Entwicklung und eingängige Kantabilität der Melodien) muss allerdings entgegen unseren Erwartungen - anfänglich dem Publikum ungewohnte Schwierigkeiten bereitet haben. Was uns heute wie allzu bereitwilliges Eingehen auf den Geschmack nicht sonderlich gebildeter Hörer erscheinen kann, mag seiner-zeit fast wie ein Affront gewirkt haben. Der Konzertbesuch galt ja als eine Form der Unterhaltung. Der klassische symphonische Stil hatte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gera-de deshalb entwickelt, weil die Komponisten vor der neuartigen Aufgabe standen, ein ungewohnt großes, ungewohnt ungebildetes und ungewohnt unterhaltungssüchtiges Publikum mit Kompositionen zu fesseln, die ohne Vorbereitung durch Konzertführer und dergleichen belehrende Hilfsmittel sofort Aufmerksamkeit und Gefallen erregen mussten. Die hochdramatische, abwechlungsreiche Schreibart der klassischen Symphonie mit ihrer Überfülle kontrastierender Themen und jäher Modulationen war die überzeugende musikalische Antwort auf diese schwierige Aufgabe. In Schuberts Symphonie aber, so schlicht sie auch immer sein mochte, gab es gerade zu wenig Unterhaltendes und Überraschendes. Schuberts Musik ist paradoxerweise einfach, weil sie eben nicht bloß unterhalten will, sondern als Kunstgegenstand in autonomer ästhetischer An-dacht gewürdigt werden möchte. Im biedermeierlichen Konzertbetrieb mochte sie ähnlich deplaciert wirken wie eine von Michelangelos Sibyllen aus der Sixtinischen Kapelle im bürgerlichen Wohnzimmer.


Interpreten
Wiener KammerOrchester
Yevgeny Chepovetsky, Violine
präsentiert im Rahmen des Förderprogramms »Great Talent«
    Yevgeny Chepovetsky wurde 1995 in Riga, Lettland
Julia Hagen, Violoncello
präsentiert im Rahmen des Förderprogramms »Great Talent«
     Die 1995 in Salzburg geborene Cellistin Julia Hagen
Aaron Pilsan, Klavier
präsentiert im Rahmen des Förderprogramms »Great Talent«
     Aaron Pilsan (* 1995 in Dornbirn, Österreich)
Markus Poschner, Dirigent
Programm
Gioachino Rossini
Sinfonia obbligata a contrabbasso D-Dur (1809)
Ludwig van Beethoven
Konzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur op. 56 »Tripelkonzert« (1803–1804)
***
Franz Schubert
Symphonie Nr. 8 C-Dur D 944 »Große C-Dur-Symphonie« (1825 ?–1828)

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