Montag, 17. Februar 2020

Orchestre Philharmonique de Radio France / Benjamin »Benjamin: Written on Skin« , 16. Februar 2020, Konzerthaus

Eine sehr spannende moderne Oper, sehr gutes Libretto (ohne Belehrung), interessante Musik, nicht nur Krach, auch Melodien und ausgezeichnete Sänger. Seit langem wieder hat mir der Countertenor  Tim Mead wirklich gefallen, wahrscheinlich auch weil die Rolle dafür geschrieben ist. Das wirkt dann viel besser. Ein düsterer Bariton Ramgobin und eine helle Agnès Georgia Jarman mit klarer Stimme. Victoria Sommonds mit besonders schönem Mezzo!
Sehr gut dirigiert vom Komponisten George Benjamin!
Leider sind einige Leute lärmend gegangen, mitten während der Musik!

Interpreten
Orchestre Philharmonique de Radio France
Ross Ramgobin, The Protector
Georgia Jarman, Agnès
Tim Mead, First Angel, The Boy
Victoria Simmonds, Second Angel, Marie
Nicholas Sharratt, Third Angel, John
Philipp Marguerre, Glasharmonika
Romina Lischka, Viola da Gamba
Dan Ayling, Regie
George Benjamin, Dirigent
Programm
George Benjamin
Written on Skin. Oper in drei Teilen (Libretto: Martin Crimp) (2012)
Halbszenische Aufführung in englischer Sprache


Ein Engel und eine Frau, die das Herz ihres Liebhabers isst
Konzerthaus. Begeisterung für die schaurig-schöne Oper „Written on Skin“ mit dem Komponisten George Benjamin am Dirigentenpult.
Adelmus von Otranto: So hieß jener Miniaturenmaler in Umberto Ecos „Name der Rose“, der sich verbotener fleischlicher Lust hingegeben hatte und sein Leben bei einem rätselhaften Fenstersturz lassen musste. Sein Zunftkollege, der mysteriöse Buchillustrator in „Written on Skin“, bekommt hingegen keinen Namen, sondern heißt in seiner menschlichen Existenz schlicht „The Boy“ – dabei ist er eigentlich ein Engel. Weil ihn seine Kunst zu einem solchen macht? Ein reicher Despot („The Protector“) engagiert ihn, weil er sein Leben und seine Taten zwischen Buchdeckeln verherrlicht sehen möchte. Prompt gehen seine unterdrückte Frau Agn`es und der Buchmaler eine Liebesbeziehung ein. Das Ende ist tödlich. Der Betrogene tötet den Konkurrenten und reicht seiner nichts ahnenden Frau dessen Herz zum Verzehr. Als sie das begreift, stürzt sie sich aus dem Fenster ...
Eine Handlung, die sich per Zeitreise ins Mittelalter zurückbegibt, zwischen einer brutalen Realität und einer entrückten, übersinnlichen Ebene vermittelt: Das könnte auch in einer aktuellen Streaming-Serie auftauchen, in der die zugrunde liegende provenzalische Legende mit aktuellen Elementen aus Horror, Fantasy und Science-Fiction verquickt wird. Doch als Oper funktioniert das Ganze vielleicht noch besser: So dürfen die vielen, teilweise widerstreitenden Anspielungen in ihrer ganzen Rätselhaftigkeit stehen bleiben, weil die Musik den Zusammenhalt besorgt.
„Written on Skin“ von Martin Crimp (Libretto) und George Benjamin (Musik) wurde 2012 in Aix-en-Provence in einer Regie von Katie Mitchell unter großem Jubel der Fachpresse uraufgeführt; im Jahr darauf machte diese Produktion auch bei den Wiener Festwochen Station. Ein Programmschwerpunkt zu Benjamins 60. Geburtstag beim Orchestre Philharmonique de Radio France führte nun zu einem Gastspiel im Wiener Konzerthaus mit ihm selbst am Dirigentenpult: keine alltägliche Fügung.
Zum Schluss eine Glasharmonika
Das Werk lohnt sich, in dieser von Regisseur Dan Ayling eingerichteten halbszenischen Version zumal, denn sie erlaubt noch stärkere Konzentration auf die 90 kompakten, elektrisierenden, betörenden Minuten von Benjamins Musik. Das Erzählen steht dabei im Mittelpunkt, auch weil die Figuren oft von sich selbst in der dritten Person berichten. Benjamin illuminiert das Geschehen mit Klängen, als wäre es eine alte Handschrift: immer behutsam und gesanglich, aber zugleich prägnant, bunt, mit Konturenschärfe und feinem Pinselstrich – etwa von Harfe, Gambe und in der Schlussszene surrealer Glasharmonika.
Doch die historischen Anspielungen beschränken sich auf die instrumentalen Farben und sparen altes Material aus. Das Brutale scheint von der höheren, tendenziell ungerührten Warte der Engel betrachtet, die in das Leben von Menschen nur deshalb eingreifen, um ihre Äonen alte Abscheu vor deren primitiven Verhaltensweisen aufs Neue bestätigt zu finden. Orchester und Besetzung waren famos: Countertenor Tim Mead und die Sopranistin Georgia Jarman sangen als tragisches Liebespaar rein und zart um ihr Leben, Bariton Ross Ramgobin gab dem Protector belkanteskes Profil.
o

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